Als Entwicklungshelfer am Amazonas in Iquitos / Perú
.

Das Projekt befand sich in Iquitos, einer Stadt von derzeit etwa 126.000 Einwohnern am Amazonas im Nordosten Perús. Iquitos wurde offiziell 1864 gegründet, obwohl es schon etwa hundert Jahre zuvor als kleines Dörfchen existierte, das den Missionaren des Jesuiten-Ordens als Ausgangspunkt für ihre Operationen gedient hatte. Die Stadt erlebte ihre Blütezeit während des Kautschuk-Booms, der kurz nach 1870 einsetzte und bis in das 20. Jahrhundert hinein andauerte.


Provinzhauptstadt Iquitos

.

Iquitos - Hauptgeschäftsstraße Jirón Lima


Die Stadt liegt 106 Meter über dem Meeresspiegel. Der Amazonas hat von hier bis zur Mündung in den Atlantischen Ozean noch mehr als 3000 Kilometer zurückzulegen. Viele Häuser im Stadtbild erinnern mit den „azulejos“, den bemalten Kacheln an den Fassaden, an die Zeit zwischen 1890 und 1920, in der die Kautschuk-Barone Fliesen aus Portugal und Italien und Eisen aus England importierten. Nachdem die Industrieländer mit der Produktion von Kunststoffen dem Kautschuk auf dem Weltmarkt starke Konkurrenz entgegenstellten, sank der Absatz von Naturgummi, Iquitos verarmte, die Einwohnerzahl schrumpfte von 100.000 auf die Hälfte. Erst mit den Erdölfunden im Amazonastiefland im Westen von Iquitos kam der Stadt wieder Bedeutung zu, und seit 1970 erlebte Iquitos wieder einen Aufschwung.


Um die Bewohner der Region auf die im Zuge der wirtschaft- lichen Entwicklung auf sie zukommenden Aufgaben vorzube- reiten war und ist es notwendig, ihren Ausbildungsstand zu erhöhen. Es fehlen dazu gut ausgebildete Lehrer.

Große Schwierigkeiten bei der Ausbildung der Landbevölkerung ergeben sich durch die riesigen Entfernungen, durch die weit auseinanderliegenden Dörfer, und dadurch, daß alle Gebiete nur durch Boote oder per Flugzeug zu erreichen und zu kontrollieren sind.

 

Ein bewährtes Medium sind hier Radioschulen, wie es zum Teil RADIO SAN JOSÉ in Indiana praktizierte. Die Station wurde von kanadischen Franziskanern gegründet und erreichte ein sehr großes Gebiet bis an die Grenzen Kolumbiens und Ecuadors. Es wurde so gehandhabt, daß eine Abordnung der Sendestation die Dörfer besuchte, Interesse weckte und ein Radio mit Festfrequenzen aufstellte. Ein ehrenamtlich mitarbeitender Hilfslehrer versammelte interessierte Erwachsene und Kinder zur Zeit der Schulsendungen und unterstützte die Schüler bei der Arbeit. Diese Radioschule war eines der sozial-engagierten Projekte der Mission von Indiana. In einer Handwerkerschule waren Schreinerei, mechanische Werkstatt, Schweißerei und Handarbeitsabteilung zusammengeschlossen.

Im Oktober 1970 schlug der Beauftragte des Deutschen Entwicklungsdienstes in Perú diese Radioschule als Projekt vor. Im Herbst 1971 wurde ich als Entwicklungshelfer für dieses Projekt eingelesen. Als während der Vorbereitungszeit die Projektplatzbeschreibung vorlag, stellte sich heraus, daß man für Wartung und Reparatur von Kurz- und Mittelwellensendern einschließlich der Empfänger und Studioanlagen eigentlich einen Ingenieur der Nachrichtentechnik angefordert hatte. Als Tontechniker erfüllt man die Voraussetzungen nur in geringem Umfang. Man entschloß sich, die Lücken durch ein Praktikum nach der üblichen dreimonatigen Vorbereitungszeit bei dem Westdeutschen Rundfunk auszugleichen.

Dadurch, daß von der Anforderung bis zur Ausreise mehr als eineinviertel Jahr vergangen waren, hatte sich in dem Konzept des Projektträgers, des Bischofs von Indiana (Vicariato Apostólico San José de Amazonas), bereits einiges geändert:

In der 40 Kilometer von Indiana amazonasaufwärts entfernten Provinzhauptstadt Iquitos betrieb der spanische Augustiner- Orden seinerseits eine kleine Radiostation, über die Sendungen mit vorwiegend religiösem Charakter ausgestrahlt wurden. Die Kanadier und Spanier entschlossen sich, die beiden Sender im Frühjahr 1972 zu fusionieren (zu der Zeit ein seltenes Beispiel einer Kooperation unterschiedlicher religiöser Institutionen). Als Entwicklungshelfer für den Projektplatz 56.2.13.01.1 erreichte ich diesen in Indiana am Tage der letzten Sendung.

Die Anlagen der Station wurden demontiert und mit Booten in die 40 Kilometer flußaufwärts gelegene Stadt Iquitos verfrachtet. Hier wurde ein ehemaliges Schulgebäude auf dem Gelände der Augustiner zu einer Rundfunkstation umgebaut, mit Büroräumen, verschiedenen Regie- und Sprecherräumen, einem Tonarchiv, Meß- und Reparaturwerkstatt und einem Sendesaal (siehe Grundriß weiter unten).

 


Palmenblätter auf dem Dach über den Studios dämpfen den Lärm des
allzu häufigen heftigen Amazonasregens auf dem Wellblech.



Haupteingang Calle Abtao 255


Operador/Técnico Jorge Luis in einem der Regieräume


Als einziger Techniker war ich für die Planung und Ausführung der gesamten Niederfrequenztechnik-Anlagen verantwortlich, ebenso für die Errichtung der studioseitigen Sende- und Antennenanlagen. Die letzte Phase meiner Tätigkeit umfaßte intensive praktische und theoretische Unterweisung meiner peruanischen Kollegen.

Mit der Errichtung der neuen Rundfunkstation, die von da ab
"LA VOZ DE LA SELVA" hieß und Sprachrohr des neuge- gründeten INSTITUTO DE PROMOCIÓN SOCIAL AMAZÓNICA (IPSA) war, hatte man das frühere Prinzip der Radioschule aufgegeben und sich auf allgemein-kulturelle und sozio-politische Programminhalte konzentriert, da zu der Zeit für die Alphabetisierung verstärkt Anstrengungen seitens der Regierung über die staatlichen Schulen unternommen wurden.


Organigramm des Amazonischen Instituts der Sozialen Förderung IPSA
.

 

 

Mit ihren Programmen wollte die VOZ DE LA SELVA als kulturelle Rundfunkanstalt einen Bildungsbeitrag leisten und direkt im Sinne der Entwicklung authentischer Kultur arbeiten, einheimische Künstler zu Wort kommen lassen und fördern und an der Wiederbelebung alten Volkskulturgutes mitarbeiten, das durch äußere Einflüsse seit Beginn der Kolonisierung verdrängt worden war.

 

regionale Künstler
im Sendesaal der
VOZ DE LA SELVA

Dem Anspruch, sich in den Dienst der Mehrheiten, d.h. des sozialschwachen Teils der Bevölkerung zu stellen, wurde der Sender allerdings nur zum Teil gerecht. Programme, die dazu beitragen sollten, daß Gesundheit, Bildung und Arbeitsplätze nicht nur das Privileg einiger Weniger bleiben, wurden unterbrochen durch Werbebeiträge, in denen eine ohnehin schon privilegierte Minderheit für ihre Produkte warb, Bedürfnisse weckte und somit dazu beitrug, neue Abhängigkeiten zu schaffen.
Seit einem halben Jahr nach meiner Arbeitsaufnahme hatte ich darauf gedrungen, einen Counterpart (einheimischer Kollege, der parallel mitarbeitet, um anschließend übernehmen zu können) für meinen Arbeitsbereich zu bekommen. Von Seiten des Projektträgers, dessen Interessen wegen seiner fast ständigen Abwesenheit durch einen kanadischen Nicht-Geistlichen wahrgenommen wurden, ging man diesem Problem wegen der finanziellen Belastung lange Zeit aus dem Wege. Nach einiger Zeit gelang es, einen früheren Sprecher und Operador der Station für die Arbeit in der technischen Abteilung zu gewinnen. Durch gute praktische Zusammenarbeit und einen intensiven theoretischen und praktischen Kursus, den ich für alle Operadores und Sprecher (eine in Perú übliche Doppelfunktion) abhielt, gelangte dieser Conunterpart zur selbständigen Reparatur vorwiegend der mechanischen Mängel an den Studioanlagen.


Installation des UKW-Sendemastes


Die sogenannte "caja de conexiones" -
Schaltzentrale in einem der Regieräume
.

Da diese Radiostation von Grund auf neu aufgebaut wurde, konnte ich die Installationen nach meinen Vorstellungen planen und unterstützt durch zwei peruanische Hilfskräfte auch durchführen. Prämisse war allerdings, daß so viel wie möglich von der alten (teils verrotteten) Ausrüstung wiederverwendet werden sollte, da kaum Mittel für Neuanschaffungen vorhanden waren.

Ein qualifizierter peruanischer Techniker oder Ingenieur, den man u.U. aus der Hauptstadt hätte holen müssen, hätte nach seinen Vorstellungen auch eine derartige Station einrichten können, die möglicherweise etwas anders ausgefallen, auf jeden Fall doch funktionsfähig gewesen wäre. In dieser Hinsicht wäre es meiner Meinung nach gleich gewesen, ob ein Entwicklungshelfer in das Projekt gesandt worden wäre oder nicht. Eher müßte man die Sache so sehen, daß der Entwicklungshelfer die Möglichkeit der Anstellung eines Peruaners blockierte, denn für diesen hätte man ein volles Gehalt zahlen müssen, während der Entwicklungshelfer – vom DED aus Deutschland mit einem monatlichen sogenannten Unterhaltsgeld ausgestattet – den Projektträger nur die Wohnungsmiete kostete (Bild weiter unten).


Grundrißdarstellung der Räume der VOZ DE LA SELVA
.

Aus dieser Einsicht hatte ich verstärkt in den letzten Monaten meine Aktivitäten auf Schulung meiner peruanischen Kollegen konzentriert, und als der Projektträger gar keine Anstrengungen unternahm, einem peruanischen Techniker oder Ingenieur eine Chance auf Anstellung zu geben, zog ich - nachdem ich meine Arbeiten abgeschlossen hatte - die Konsequenz und verließ das Projekt. Nun mußte man einen peruanischen Kollegen einstellen, mit dem ich zwecks Einweisung noch kurze Zeit parallel arbeitete.


Eingang zum Sendessal

Leider ist bei LA VOZ DE LA SELVA kaum mehr jemand von dem alten Kollegenstamm beschäftigt, der sich ehrgeizig und vielfach in Mehrarbeit während des Aufbaus der Station engagierte, um über die Programme eine Bewußtseinsbildung der verschiedensten Gruppen der Unterprivilegierten der Bevölkerung zu betreiben. Der kommerzielle Aspekt - Mittelbeschaffung durch Werbung, die sehr massiv betrieben wurde  - hat die ursprüngliche Intention, die Station "in den Dienst der Mehrheiten für eine bessere Amazonía" zu stellen, verdrängt.

Zum Thema "Ausgewählte Aspekte der Teleducación in Lateinamerika am Beispiel Perus" schrieb ich meine Arbeit für das Erste Saatsexamen an der Universität Bremen. Sie ist hier mit ihren einzelnen Kapitels oder als vollständiger Textteil als pdf-Datei aufrufbar.

Weitere Bilder