Sommer im Dovrefjell

 

  
Wenngleich der Tag sich neigt im Fjell,
die Wandrer müd’ zur Ruh’ sich legen,
sind Nordlands Nächte noch so hell.
Schon träumen sie von neuen Wegen.

Viel Regen fiel die letzten Tage,
der Gipfel wolkeneingehüllt.
Wird’s besser morgen? Diese Frage
vorm Schlafen jeden stets erfüllt.

Den gletschertrüben Bach dort drüben,
von schneebedecktem Feld gespeist,
zu queren hatten sie gemieden;
er plätschert nicht dahin, er reißt.

Auf eine Insel weiter oben
hat sich 'ne Möwe hinverirrt;
bald wird im Nest der Nachwuchs wohnen,
von Mücken sonnenspielumschwirrt.

Ein Moschus Winterfell noch trägt.
Er trifft die Herde hoch am Hang.
Satt hat sie sich dort hingelegt.
Manch’ Wandrern wird’s am Pfad fast bang.

 


  In stein’ger Einsamkeit und Weite
der Sommer schnell das Feld gewinnt.
Moos, Flechten, Blumen strahlen heute,
des Gipfels Neuschnee bald zerrinnt.  

Im Gegenwind ersteig’ ich eine Höhe,
muß über große Felsenbrocken geh’n,
da kommen Rentiere in meine Nähe.
Mich sehend bleiben sie doch steh’n.  

Vom Gipfel schweift der Blick in weite Ferne.
Des Aufstiegs Mühsal wird belohnt:
Trollheimen, Jotunheim’, Rondane ...
So frei, wer über ihnen thront!

Doch kurz ist dieser Nordlandsommer.
Der Boreas bald eisig weht,
legt’s Fjell wieder in Winterschlummer.
Über die Höh’n Erinn’rung geht.

 

 

Wolfgang Moeller / Juli 2002